Benjamin Fischer, 30.06.2023
Sag, was du sagen willst
Meine sehr verehrten Damen, meine sehr geehrten Herren.
Bevor ich es selbst erlebt habe, konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, wie meine Schulzeit hier aussehen soll. Mein Vater sagte zu seiner Schulzeit immer nur, er sei einfach jeden Tag zur Schule gegangen bis sie dann irgendwann vorbei war. Mein grosser Bruder, der im letzten Jahr hier abgeschlossen hat, sagte mir immer nur: «Bro ich sag dir ehrlich…chunnt scho guet.»
Vor ein paar Monaten dann, als meine kleine Schwester nach Hause kam, welche nun hier im ersten Jahrgang zur Schule geht, im 1m, und ich sie fragte, wie die Schule so war und wie es ihr gefällt, sagte sie mir: «ManBenjaminIchHabGarKeineZeitIchMussNochDeutschLernenIchMussNochVociLernenIchMussNochVortragMachenIchMussNochSchwerpunktWählenEsIstAllesSoVielIchHab GAR KEINE ZEIT»
Anhand dieser Anekdote sehen Sie etwas wie ich finde sehr, sehr Wichtiges und Eindrückliches: Wie individuell wir alle die Schulzeit erleben. Jeder und jede von uns ging die letzten Jahre an dieselbe Schule, und doch hat jeder Tag für jeden und jede von uns ganz anders ausgesehen.
Bevor ich also mit meinem «Rückblick» beginne, möchte ich folgendes betonen:
Wir haben lange hierauf hingearbeitet. Wir haben uns selbst immer besser kennengelernt, unsere Stärken und Schwächen erforscht, bis wir nun endlich hier stehen können, um uns zum ersten Mal ganz sicher zu sein, dass sich all die Arbeit gelohnt hat, dass wir es geschafft haben und dass uns die ganze Welt offen steht.
Sag es
Nun, der «Rückblick».
1m
Der erste Schultag, viele neue Leute und Eindrücke. Fragen an einen selbst, Erwartungen, Ziele, Wege. Eigenheiten der Mitschülerinnen und Mitschüler, der Lehrpersonen und der Gebäude. Auch die Unterrichtsform, im Vergleich zu Primar- und Sekundarschule, alles neu und erstmal interessant.
Dann die Probezeit als primär angespannter Einstieg, «schaffe ich das überhaupt?»
Ausserdem das «Kennenlernlager» ziemlich zu Beginn des ersten Jahres. Neue Freundschaften und ein erstes Gefühl von Gemeinsamkeit.
Dann Prüfungen, wo stehe ich, neu entdeckte Stärken/Schwächen oder sogar Leidenschaften? Und was natürlich auch passiert, wenn man an eine neue Schule kommt: Wow! Die grossen, älteren! Die schon erwachsenen 4m-Schülerinnen und Schüler!
Und ohne dass wir es gemerkt haben, sind wir nun selbst zu diesen 4m-Schülerinnen und Schülern geworden und schauen auf die jüngeren herunter, (wobei ich eher noch geradeaus schaue), wir beneiden sie um ihre Freiheiten und Sorglosigkeiten und doch sind wir froh, dass wir es hierhin geschafft haben.
Dann kam auch noch die Distance-Learning-Zeit, eine wahrscheinlich eher für die Lehrpersonen anspruchsvolle Zeit. Diese konnten wir zuhause in Geborgenheit geniessen, bis sie dann die Sommerferien nahten, wir unsere Wecker wieder früher stellten und die Masken-Familienpackung sorgsam bereitlegten.
2m
Als die Sommerferien dann vorbei waren, ging es schon los mit den Schwerpunktfächern. Bereits nach weniger als einem Jahr hatten wir persönliche Prioritäten gesetzt und fanden uns dementsprechend zum ersten Mal seit einem Jahr in einer neuen Klasse und – hurra- einer neuen Vorstellungsrunde. Das zweite Jahr war so gesehen, aber eigentlich das angenehmste. Wir kannten unseren neuen Freundeskreis und hatten schon einiges zusammen erlebt, wir waren endlich nicht mehr die «Neuen», und hatten fast alles schon einmal gesehen. Wir durften uns für spezielle Projekte in Sonderwochen einschreiben und dann auch das Ergänzungsfach wählen, welches uns im dritten Jahr erwarten sollte.
3m
Was uns ausserdem im dritten Jahr erwartete, war: Bumm, Endspurt. Ich, der sich in der Hälfte seiner Kantonsschulzeit nun ziemlich sicher und bequem positioniert glaubte, sah die erste Schwarze Wolke am scheinbar blauen Himmel: Einführung Maturaarbeit. In Zweiergruppen galt es als Übung eine etwas verkürzte Maturaarbeit zu einem vorgefertigten Thema aus einem bestimmten Fach, in unserem Fall Geschichte, zu schreiben.
Zusammengefasst: Aschiss.
Wir durften uns ausserdem schon so bald wie möglich eine Betreuung und natürlich ein Thema für unsere eigene, richtige Maturaarbeit suchen, nebenbei auch schon unseren Sprachaufenthalt planen.
In jedem Jahr kamen ja auch gewisse Fächer neu oder wieder dazu, genauso wie andere abgeschlossen wurden und so kam für mich im dritten Jahr auch wieder das «Sie können das besser, Benjamin, woran hat es gelegen?» von meinem geschätzten Chemielehrer zurück.
Doch genauso wie neues dazu kam, blieb auch einiges gleich.
Unser Deutschlehrer liess es uns immer noch spüren, wenn wir zu lange nur auf unser iPad geschaut hatten, unser Geschichtslehrer fragte unbeirrt: »Gsehnd Sie das??», unser Mathematiklehrer bestand weiterhin darauf, dass die Aufgaben, welche wir lösten eigentlich auf Sekundarschulniveau seien und auch unsere Englischlehrerin fragte wie am ersten Tag: «Guys, good morning! Are you still sleeping? Ha Ha.” Nur fragte Sie das nun etwas öfter.
Insgesamt ging es dann aber die letzten beiden Jahre tatsächlich nur um eine Sache, und zwar um unsere Matura.
4m
Dies bedeutete zum einen einiges an Arbeit aber eben auch mehr Freiheiten, zum Beispiel direkt in der Wahl des Faches und des Themas der Maturaarbeit, aber auch in der freien Gestaltung unseres Sprachaufenthaltes, wo wir den Ort, die Art und zu einem gewissen Masse auch die Dauer selbst bestimmen konnten. Noch etwas mehr konnten wir also selbst eine Richtung vorgeben und uns auf unsere Interessen konzentrieren.
Schlussendlich will ich damit sagen, dass wir in unserer Schulzeit neben den traditionellen Schulfächern auch in anderen Bereichen gebildeter und der Welt vertrauter wurden.
Sag, was du gesagt hast
Zum Abschluss möchte ich noch auf das Eingangszitat unserer Rektorin an der letztjährigen FMS/ IMS-Abschlussfeier zurückkommen.
Dort zitierte sie nämlich das Gedicht «Stufen» des Literaturnobelpreisträgers Hermann Hesse.
Sie werden den Namen dieses Dichters und das Gedicht oder zumindest den Ausschnitt aus dem Gedicht, welchen auch Frau Roth zitiert hat, sehr wahrscheinlich schon einmal gehört haben.
«Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.»
Ein Zitat über Aufbruch, Neuanfang und Mut.
Ich komme allerdings nicht bloss auf dieses Gedicht und diesen Dichter zu sprechen, weil mir das Gedicht sehr gefällt, sondern auch da Hermann Hesses Sohn Heiner Hesse, wie wir alle diese Schule besucht hat.
Er machte im Jahr 1926 seinen Abschluss und war sogar Mitglied unserer Mitteschulverbindung Thurgovia, aber das nur am Rande, quasi als fun fact.
Es gibt natürlich viel bessere Gründe, um von diesem Gedicht zu sprechen.
Erlauben Sie mir, noch etwas mehr davon zu zitieren:
«Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.»
Sie sehen, wie der Titel des Gedichts vorgibt, geht es um «Stufen», um «Lebensstufen», sprich Lebensabschnitte und Übergänge, Abschied von altem, von bekanntem und Aufbruch in neue Richtungen, Aufbruch auf neue Wege und Aufbruch in eine neue «Lebensstufe». Wir sollen also weder an der Vergangenheit festhalten noch um ihre Vergänglichkeit trauern, sondern sollen frohen Mutes nach vorne blicken und vertrauen haben.
Denn wir befinden uns genau jetzt an solch einer Schnittstelle, wo der eine Lebensabschnitt endet und der nächste beginnt. Diesen Moment sollen wir schätzen und geniessen, vor allem aber feiern. Wir haben den Grundstein für unser eigenes und selbständiges Leben gesetzt und darauf können und sollen wir stolz sein.
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Vielen herzlichen Dank.