«Druck ist die Fläche, auf der wir alle stehen»

Welche Belastungen bringt die Schulzeit mit sich? Vier Schülerinnen und ein Schüler tauschen sich darüber aus. Ihr realistischer Blick überrascht – und er zeigt auf, wie vielschichtig der Druck an einer Kantonsschule ist.

Ein Dienstagnachmittag im März. Vier Schülerinnen und ein Schüler treffen aufeinander. Rafael Lopes (3fa), Melanie Köchli (3fa), Paula König (2mz), Charlize Montgomery (2mz) und Ella Engel (2md; im Uhrzeigersinn) sprechen über Druck und mentale Gesundheit.

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Wie geht's Ihnen?

Melanie Köchli: Ganz gut, wir haben erst nächste Woche wieder Prüfungsstress.

Rafael Lopes: Ja, nächste Woche gibt’s im Onlinestundenplan viele gelbe Prüfungsfelder. Noch geht’s mir auch ganz gut.

Paula König: Bei mir fühlt es sich zurzeit an wie auf einer Achterbahn.

Ella Engel: Mir geht’s sehr gut. Ich freue mich auf den Frühling, auf die warmen Tage.

Charlize Montgomery: Meine Stimmung steigt auch mit den Temperaturen. Prüfungen haben wir im Moment nicht viele.

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Für die fünf steht fest: Das persönliche Wohlbefinden ist äusserst wichtig. «Mentale Gesundheit beeinflusst die körperliche Gesundheit und wirkt sich auf Freundschaften und Leistungen aus, auch auf schulische», sagt Ella Engel. Und Paula König sagt, dass in schwierigen Situationen Abwärtsspiralen einsetzen können. «Dann wird’s schwer, dem Strudel zu entrinnen.» Damit es nicht so weit kommt, haben die fünf Schülerinnen und Schüler verschiedene Rezepte. So verbringen sie Zeit mit Familie und Freunden – und sie gehen Hobbys nach.
Auch die Schule kann gut tun. Melanie Köchli findet den Klassenzusammenhalt schön. Und alle fünf freuen sich nach den Ferien jeweils auf ihre Klassen, auf Kolleginnen und Kollegen, auf die Struktur, die die Schule biete, und auf interessante Dinge, die sie lernen. Trotzdem gibt es Verbesserungspotenzial.

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Wie sähe für Sie die ideale Schule aus?

Ella Engel: Die Kanti ist ziemlich ideal für mich. Bei den Freifächern wär’s gut, wenn man schon bei der Anmeldung die Zeiten kennen würde. Aktuell riskiert man zwischen Schulschluss und Freifach lange Wartezeiten, was insbesondere für Auswärtige unpraktisch ist. Deshalb besuche ich kein Freifach.

Rafael Lopes: Die Schule sollte mehr über mentale Gesundheit aufklären. Lernbegleiterinnen, Lernbegleiter und Klassenlehrpersonen könnten dafür die Klassenstunde nutzen.

Paula König: Es gibt wahnsinnig strenge und dann wieder ruhige Wochen. Und zwischendurch sehr lange Schultage.

Gäbe es noch Prüfungen an der idealen Schule?

Paula König: Eine Schule ohne Prüfungen? Das wäre demotivierend. Aber die Prüfungen wären besser verteilt.

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Die Frage, ob der Ausbildungsweg an der Kanti denn Sinn mache, wird fast schon analytisch beantwortet. Es sei der schnellste und effizienteste Weg zum Studium, man erlange eine grosse Allgemeinbildung und lerne auf unterschiedliche Weise an Problemstellungen heranzugehen. Die Prämisse hierfür sei, dass man gerne lerne. Melanie Köchli fügt aber noch an, dass sie sich beim einen oder anderen Fach oder Auftrag schon frage, warum sie das jetzt genau machen müsse.
Die gesamtschulische Umfrage zur mentalen Gesundheit hat die Schülerinnen und Schüler aber auch zum Thema Druck befragt. Dabei hat sich gezeigt, dass sich viele auch selbst Druck machen.

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Wie fühlt sich dieser Druck an?

Ella Engel: Viele Prüfungen hintereinander können Druck auslösen. Und wenn eine Prüfung nicht gut läuft, erhöht sich der Druck bei der nächsten.

Rafael Lopes: Im 3f müssten wir bis im Juni ein paar Bücher lesen. Idealerweise finge man jetzt schon an. Aber ich spüre den Druck noch nicht.

Können Sie das Gefühl beschreiben, das im Mai entstehen wird?

Rafael Lopes: Ich weiss, ich werd’s bereuen. (Alle lachen.) Und diese Ahnung, dass ich’s bereuen werde, ist bereits ein Druck.

Melanie Köchli: Wichtig ist zu merken, wenn man Stress hat. Dann kann man bewusst etwas einbauen, was gut tut. Sonst gerätst du in die Spirale und blockierst ganz.

Rafael Lopes: Wir alle spüren unterschwellig den Druck. Manche haben mehr Druck als andere, weil sie knapp dran oder provisorisch sind. Aber alle wollen die Kanti bestehen. Druck ist die kleine Fläche, auf der wir alle stehen.

Träumen Sie deshalb gar nicht von einer Schule ohne Prüfungen? Weil Prüfungen zu einer Schule gehören, und weil zu einer Schule Druck gehört?

Rafael Lopes: Ich wüsste nicht, wie es ohne Prüfungen wäre. Was wäre die Alternative?

Ella Engel: Man hat gelernt – und kann an der Prüfung zeigen, was man kann. Woran will man’s sonst festmachen? An der Leistung im Unterricht? Dann müsste man ja in jeder Lektion total präsent sein.

Inwiefern beschäftigt Sie die Schule, wenn Sie das Areal verlassen?

Rafael Lopes: Für alle hier ist die Schule der Mittelpunkt. Es gibt nicht viel, was aktuell wichtiger sein könnte. Darum denken wir ständig an die Schule.

Charlize Montgomery: Und dann gibt’s diese Momente, wenn man mitten in der Nacht denkt, uh, das hätte ich auch noch für die Schule machen müssen. (Alle lachen.)

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Schulischer Druck ist komplex und schwierig auszudifferenzieren. Er ist Treiber und Hemmer zugleich. Die Doppelrolle des Drucks auszuhalten – das scheint eine Disziplin zu sein, in der sich jede Schülerin und jeder Schüler selbst ausbilden und zurechtfinden muss. Dass hierbei die Schule Unterstützung anbieten muss, steht ausser Frage.

Die fünf Jugendlichen sprechen auch über weitere Stressoren wie die Weltlage und familiäre Schwierigkeiten. Social Media ist ebenfalls ein Thema. Charlize Montgomery stellt fest, dass soziale Medien zu unrealistischen Erwartungen an sich selbst führen, was ungesund sein kann. Und Ella Engel sagt: «Je weniger ich Social Media konsumiere, desto besser fühle ich mich in meinem eigenen Körper und desto stärker bin ich mental.» Sie geht davon aus, dass es am unbewussten Vergleich mit vermeintlich perfekten Leuten liege. «Seit mir das bewusst geworden ist, habe ich meine Zeit auf Social Media stark reduziert.»

Und wie viel Druck löst die Künstliche Intelligenz (KI) aus? Rafael Lopes nervt sich, dass sie überall ist. Und Paula König findet sie aus künstlerischer Sicht frustrierend. KI kreiere nichts Neues, sondern setze bereits Geschaffenes neu zusammen.

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Entwertet KI aus Ihrer Sicht das Lernen?

Paula König: Ich finde nicht. Lernen ist etwas, was ich selbst tun muss. Das kann ich weder überspringen noch auslagern. Daher kann mir die KI nichts wegnehmen.

Melanie Köchli: Ich brauche KI, wenn ich einen Überblick, eine Zusammenfassung oder Ideen brauche. Überlegen will ich nach wie vor selbst. KI ist eine Hilfe, aber nicht mehr.

Ella Engel: KI hat zwei Seiten. Wir können damit viel Zeit sparen. Aber sie birgt auch Gefahren, z.B. Deep Fakes. Aber wir haben keine Wahl: Wir müssen den Umgang lernen, stoppen können wir KI nicht. Quellenkritik wird umso wichtiger.

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KI wird die Welt verändern. Bildung aber, darin sind sich die vier Schülerinnen und der Schüler einig, wird nicht wertlos werden, im Gegenteil. Kritisches Denken braucht es jetzt erst recht.

Auch wenn Druck und Zukunftsängste ab und an Überhand nehmen, haben die fünf Jugendlichen klare Vorstellungen von der Zeit nach der Kantonsschule: Sie träumen von einem erfüllenden Studium, von der eigenen Physio- bzw. Psychiatriepraxis, von einer eigenen Familie – und von einem Arbeitsalltag als Pilotin.

Text: Stéphanie Maurer/Lukas Dumelin