Vor zwei Jahren nahm sie als Maturandin an der Projektwoche «Jugend macht Politik» teil. Nun besuchte sie in der Rolle einer Jungpolitikerin die Kanti Frauenfeld: Nadine Aeschliemann engagiert sich für die Grünliberalen im Kanton Thurgau und berichtet im Interview wie sie «politische Bildung» an unserer Schule erlebt hat.
Nadine, im Rahmen von «Jugend macht Politik» waren Sie als Gast an unserer Kanti. Wie waren Ihre Begegnungen mit unseren Schülerinnen und Schülern?
«Ich habe mich sehr darauf gefreut, meiner alten Schule nach fast zwei Jahren wieder einmal einen Besuch abzustatten. Die Woche dabei aus einer etwas anderen Perspektive mitzuerleben, war für mich eine spannende neue Erfahrung. Die Begegnungen mit den Lernenden waren sehr angenehm und die Zusammenarbeit in der Partei hat Spass gemacht. Ich war äusserst beeindruckt davon, wie sehr sich die Schülerinnen und Schüler auf ein Thema einlassen konnten, mit welchem sie im Alltag bisher erst wenige Berührungspunkte hatten.»
«Jugend macht Politik» ist eine Projektwoche für alle Abschlussklassen aus dem Gymnasium und der Fachmittelschule. Vor zwei Jahren nahmen Sie selber als Maturandin daran teil. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Woche?
«Ich hatte mich damals sehr darauf gefreut. Während viele meiner Kolleginnen und Kollegen gedanklich schon bei den Abschlussprüfungen waren, wollte ich die Woche geniessen und möglichst viel davon für mich mitnehmen. Ich durfte mich damals mit dem Rahmenabkommen unter Einbezug der Unionsbürgerrichtlinie beschäftigen. Im Gegensatz zu diesem Jahr wurden die Positionen dabei zufällig verteilt. Das war besonders interessant, da wir auch innerhalb der Gruppe Personen mit anderen Meinungen hatten und somit auch einen besseren Einblick in die Argumentation der Gegnerseite erhielten. Eines der Highlights der Woche war für mich sicherlich auch, als Sandro Brotz live zugeschaltet wurde und einige Worte und Tipps an uns richtete.»
Sie engagieren sich im Vorstand der Jungpartei der Grünliberalen Thurgau. Wie kam es dazu?
«Es war ein natürlicher Prozess. Tatsächlich entschied ich mich nur wenige Wochen vor meiner eigenen Staatsbürgerlichen Woche dazu, das Anmeldeformular auf der Website der jungen Grünliberalen auszufüllen und damit der Partei beizutreten. Seither habe ich dann vermehrt an Events teilgenommen und dabei schnell viele der Mitglieder kennengelernt.
Sich politisch zu engagieren ist nicht so schwierig, wie sich das viele junge Leute vielleicht vorstellen. So war ich auch lange der Überzeugung, dass Politik nur etwas für ältere Leute ist und mir dazu der direkte Zugang fehlt. Dabei ist alles was es braucht ein bisschen Mut, um den ersten Schritt zu wagen.»
Die politische Bildung ist in den Ausbildungsgängen unserer Schule an verschiedenen Punkten angesiedelt – zum Beispiel im Staatskundeunterricht als Teil des Fachs Geschichte, aber auch in unserer Projektwoche «Jugend macht Politik». Welchen Einfluss auf Ihr politisches Engagement hatten diese Impulse?
«Rückblickend hatte mein politisches Interesse vermutlich einen grösseren Einfluss auf den Unterricht als umgekehrt. Im Geschichtsunterricht durften wir die verschiedenen Themen von anstehende Abstimmungen jeweils der Klasse vorstellen und dann im Anschluss selbst eine solche Abstimmung durchführen. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie frustriert ich immer darüber war, dass ich selbst noch nicht aktiv mitbestimmen durfte. Und dies, obwohl ich mich vermutlich intensiver mit den Themen auseinandergesetzt hatte als so mancher Erwachsener. Auch wenn ich mir im Unterricht mehr Raum für politische Bildung erhofft hätte, war vielleicht auch gerade dieser Umstand ausschlaggebend dafür, dass ich mich auch ausserhalb des schulischen Rahmens in der Politik engagieren wollte.»
Die Neutralität der «politischen Bildung» ist ein aktuell diskutiertes Thema in der Öffentlichkeit. Wie «neutral» haben Sie persönlich den politischen Unterricht an der Kanti wahrgenommen?
«Ich denke nicht, dass die politische Bildung komplett neutral sein kann oder sollte. Schlussendlich hat Politik von Grund auf einen normativen Ansatz, und gerade unsere direkte Demokratie in der Schweiz würde ohne die die verschiedenen Meinungen nicht funktionieren. In diesem Kontext bedeutet Neutralität für mich vielmehr, den verschiedenen Meinungen und Ausgangspunkten ausreichend Platz zu bieten und dabei den Jugendlichen Raum für die Eigenreflexion zu lassen. Meinem damaligen Geschichtsleher ist es sehr gut gelungen, die verschiedenen Standpunkte unvoreingenommen zu präsentieren. So waren wir uns damals auch klassenintern nicht immer einig, welche Meinung er eigentlich privat vertritt. Ein wichtiger Punkt bleibt jedoch, dass die Meinungsbildung eine sachliche Basis braucht, um die verschiedenen Argumente richtig einordnen und abwägen zu können. Unter der heutigen Masse an Informationen zwischen falschen von richtigen unterscheiden zu können und sich daraus eine eigene Meinung zu bilden, ist eine Kompetenz, die definitiv über die politische Bildung hinaus wichtig ist.»
Welche politischen Ziele haben Sie sich gesetzt – kurz- und langfristig?
«Kurzfristig stehen sicherlich die Nationalratswahlen im Oktober im Zentrum. Auch wenn es erstmals nur um das Sammeln von Erfahrungen geht, würde ich gerne meinen Teil zur Ermöglichung eines grünliberalen Nationalratssitzes aus dem Thurgau beitragen. Ich könnte mir langfristig zwar durchaus vorstellen, ein politisches Amt (auf nationaler oder kantonaler Ebene) einzunehmen, jedoch liegt mein Fokus momentan eher auf einem anderen Weg. Für viele unserer heutigen Herausforderungen (wie z. B. Klimawandel oder Migration) stossen die Nationalstaaten an ihre Grenzen und verlangen Lösungen auf internationaler Ebene. Auch mit Hinblick auf mein Studium sehe ich meinen Platz momentan eher darin zum Finden dieser Lösungen beizutragen.»
Das Gespräch führte Thomas Moll
Nadine Aeschlimann (20) stammt aus Lommis. Sie schloss die gymnasiale Ausbildung an der Kantonsschule Frauenfeld im Frühsommer 2021 mit dem Schwerpunkt Wirtschaft & Recht ab. Heute studiert sie Internationale Beziehungen an der Universität St. Gallen (HSG) und engagiert sich im Vorstand der Jungen Grünliberalen. Zudem arbeitet sie in Teilzeit bei Young Enterprise Switzerland und engagiert sich in ihrer lokalen Jugendarbeit sowie verschiedenen Vereinen der Universität St. Gallen.
Über hundert Schülerinnen und Schüler aus dem Gymnasium und der FMS, mehr als ein Dutzend begleitende Lehrpersonen, Fachexperten, Jungpolitikerinnen und –politiker: In der Projektwoche “Jugend macht Politik” nehmen die Lernenden neue Rollen ein und simulieren während vier Tagen im Rahmen eines Planspiels einen Parlamentsbetrieb. Thematisch drehten sich die Diskussionen um die “Steuergerechtigkeitsinitiative” sowie um die “Biodiversitätsinitiative”. Als Höhepunkt führten beide Gruppen zeitgleich am letzten Tag ihre Debatten in den Rathäusern von Frauenfeld und Weinfelden durch.
Die politische Ausgewogenheit und Neutralität von Schulunterricht wird immer wieder auf dem politischen Parkett diskutiert. Kürzlich wurde im Kanton Aargau eine Studie veröffentlicht, die zum Schluss kam, dass an den dortigen Kantonsschulen die politische Neutralität gewährleistet wäre. Auch im Kanton Thurgau ist ein parlamentarischer Vorstoss zu diesem Thema hängig.
Experten haben klare Kriterien, die ein «politisch neutraler» Unterricht erfüllen muss. Gemäss Martin Pryde, Präsident des Vereins der Schweizerischen Geschichtslehrerinnen und Geschichtslehrer, sei der «Beutelsbacher Konsens» richtungsweisend. Danach dürfen Lehrkräfte im Politunterricht den Schülerinnen und Schülern ihre persönliche Meinung nicht aufzwingen (Überwältigungsverbot). Ausserdem muss der Unterricht von politischer Bildung das Gebot der Kontroversität erfüllen. Das dritte Kriterium ist die Schülerorientierung: Danach sollen Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzt werden, die politische Situation und ihre eigenen Positionen zu analysieren und sich aktiv am politischen Prozess zu beteiligen.
Studie des Forschungsinstituts Sotomo über die politische Neutralität an den Mittelschulen im Kanton Aargau (veröffentlicht am 12.05.2023): Link.
Bericht der Thurgauer Zeitung (27. Mai 2023) über die Projektwoche: