Meeresbio-Woche auf der Insel Giglio

Damit ein Neopren-Anzug gut wärmt, muss er satt am Körper anliegen. So ziehen, schieben und zupfen die 17 Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer sowie die beiden Lehrpersonen die engen Neopren-Hosen Wulst um Wulst über ihre Beine, zwängen sich ins Oberteil und halten dann die Luft an, um den Reissverschluss zu schliessen. Mit Schnorchel, Taucherbrille und Flossen in der Hand spazieren wir zum nahegelegenen Strand und blicken auf das Meer hinaus. Hier leben unzählige faszinierende Lebewesen, vom kleinsten Bakterium bis zum gigantischen Blauwal. Einige davon haben wir diese Woche im Labor kennen gelernt und konnten sie auf unseren Schnorchelgängen im Meer beobachten.
Wir spucken in die Taucherbrille, um ein Anlaufen zu verhindern, montieren den Schnorchel, schlüpfen in die Flossen und schwimmen los.
Unter uns erstreckt sich eine Wüste aus Sandrippeln. Die turbulente Strömung wirbelt die Körnchen umher. Hier scheint kein Lebewesen existieren zu können. Oder doch? Wir entdecken einen Weitaugen-Butt, der gut versteckt im Sand ruht und uns mit seinen Augen, die beide auf der linken Körperseite liegen, misstrauisch anschaut. Um ihn herum entdecken wir unzählige kleine Krater mit Löchern. Hier enden die rüsselartigen Siphos verschiedener Muschelarten, die sich unterschiedlich tief in den Sand eingegraben haben. Mit dem einen Sipho saugen sie sauerstoffreiches Frischwasser an, filtern Partikel heraus und entlassen anschliessend exkrementbeladenes Altwasser über den anderen Sipho.
Einige dieser Muschelarten haben wir im Labor kennengelernt. Es befindet sich im Institut für marine Biologie in Campese auf der Insel Giglio. Hier haben wir von einer erfahrenen Meeresbiologin in jeweils halbtägigen Theorieblöcken viel Interessantes über verschiedene marine Lebensräume und ihre charakteristischen Bewohner erfahren. Nach einem Input zum jeweiligen Lebensraum bekamen wir in Plastikschalen verschiedene Organismen vorgesetzt, die wir unter dem Binokular beobachten und mit Hilfe von Fachliteratur bestimmen konnten. Wir suchten Informationen über Anpassungsstrategien und Verhaltensmuster und tauschten sie anschliessend im Plenum aus. Unglaublich, was wir da alles erforschen konnten: Algen, Schwämme, Seesterne, Seeigel, Seegurken, Moostierchen, Korallen, Seeanemonen, Gorgonien, Seescheiden, Schnecken, Muscheln, Krebse, Röhrenwürmer und vieles mehr!
Vor uns taucht ein dicht bewachsener Fels auf. Viele der festsitzenden Organismen sind alte Bekannte aus dem Laborkurs. Die vertikale Verteilung dieser Lebewesen hängt mit den sich mit zunehmender Tiefe ändernden Licht-, Druck- und Strömungsverhältnissen zusammen. Um den Felsen tanzt ein Schwarm schwarz-blauer Mönchsfische mit eleganten Schwanzflossen. Ein farbenfroher Meerpfau huscht unter einen Vorsprung, um sich zu verstecken. Wir halten Ausschau nach einer Kraken-Höhle. Man erkennt sie an «Spielsachen», wie Muscheln, Schneckenhäusern, Steinen oder Plastikteilen, welche die Kraken um ihre Behausung drapieren. Je mehr «Spielsachen» herumliegen, desto älter ist der Krake – also genau umgekehrt wie bei uns Menschen.
Wir gleiten fast schwerelos über eine Seegraswiese, atmen ruhig durch den Schnorchel und schauen, was es hier alles zu entdecken gibt. Weil Seegraswiesen die Wasserströmung bremsen und viel Sauerstoff produzieren, sind sie ein idealer Lebensraum für Jungfische und viele andere Meeresbewohner. Dank des Neoprenanzugs können wir entspannt im Wasser schweben und einfach staunen. Es hat sich auf jeden Fall gelohnt, ihn überzustreifen!

Autorin: Iris Gödickemeier