«Theater ist so wunderbar befreiend»: Am 21. und 22. Mai zeigen Schülerinnen und Schüler das Stück «Hochhausspringerin»

Sie haben drei Monate intensiv geprobt, nun gilt’s ernst: Sieben Schülerinnen und Schüler führen am 21. und 22. Mai die «Hochhausspringerin» auf. Besonders mitfiebern werden Stéphanie Maurer und David Thalmann. Die beiden Deutschlehrpersonen leiten den Theater-Freikurs. Ein Interview.

Stéphanie und David, auf einer Skala von eins bis zehn: Wie nervös seid ihr?

Stéphanie Maurer: Kurz vor der Vorstellung bin ich immer wahnsinnig nervös, sicher bei einer zehn. Aktuell ist das Projekt sehr präsent, man denkt immer wieder an die verbleibenden Proben, organsiert noch Requisiten oder träumt von Lichteinstellungen ...

David Thalmann: Ich bin nicht unbedingt nervös, eher angespannt. Wie immer in kreativen Prozessen kondensiert sich die intensivste Probenzeit auf die letzten zwei Wochen vor der Aufführung. Eine Mischung aus produktivem Zweifel, aber auch grosser Freude, dass es endlich losgeht.

Am 21. und 22. Mai stehen die jungen Schauspielerinnen und Schauspieler auf der Bühne, die Aufführungen beginnen um 19.30 Uhr in der Aula. Ihr habt intensiv geprobt, an drei Blocktagen sogar in der Freizeit. Wie lief’s?

David Thalmann: Die Freikursgruppe hat sich erst im Februar formiert. Die Zeit für den gemeinsamen Weg war dieses Mal von Anfang an begrenzt auf ein Semester, da zwei Teilnehmende im Sommer mit der Schule fertig sein werden. Die Frage war dann: Wollen wir dennoch eine Aufführung oder proben wir einfach isoliert für uns? Die Entscheidung war für alle schnell klar: Theater ohne Aufführung macht wenig Sinn und noch weniger Spass. So haben wir uns für den intensiveren, aber hoffentlich auch erfüllenderen Weg entschieden, drei Monate intensiv geprobt und sind nun gespannt auf das Resultat. Ich bin schon überrascht, wie schnell es dieses Mal gegangen ist von der ersten Probe bis zur Aufführung und welchen Weg wir zurückgelegt haben.

Das Stück orientiert sich an Julia von Lucadous dystopischem Roman «Die Hochhausspringerin». Er handelt von der Superathletin Riva, die plötzlich nicht mehr trainieren will – und die von der Psychologin Hitomi wieder gefügig gemacht werden soll. Was reizt euch an diesem Roman?

David Thalmann: Bei mir ist es das Dystopische, was wir aus Filmen wie «The Hunger Games» kennen. Vieles wird nur angedeutet und trotzdem ist uns diese Welt und Gesellschaft seltsam vertraut. Es wird klar, dass viele der Themen, die uns als Gesellschaft bereits jetzt umtreiben, im Roman radikal weitergedacht werden. Das sind Themen wie Leistungsdruck, Überwachung, Bewertung, Selbstoptimierung, Freiheit, Individualität, um nur einige der Themen zu nennen. Für unsere Fassung mussten wir dann auch viel Mut zum Weglassen zeigen. «Kill your darlings» sozusagen, um den Abend nicht zu überfrachten.

Stéphanie Maurer: David musste einiges an Überzeugungsarbeit leisten, bis ich mich auf die Projektidee eingelassen habe. Irgendwann musste ich mir eingestehen, der Text als Stückgrundlage ist super. Wunderbar direkt, aber auch poetisch.

Ein Eindruck von der ersten Leseprobe.

Wie haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Freikurses auf den Stoff reagiert?

Stéphanie Maurer: Ich war erstaunt, wie positiv sie die Thematik aufgenommen haben. Sie liessen sich für die nicht alltäglichen Figuren begeistern und haben schnell gespürt, welches Grundgefühl der Stoff vermittelt.

David Thalmann: Ja, aufgrund der kurzen Probezeit haben wir die Freikursgruppe bereits in der ersten Probe mit dem Stoff konfrontiert. Wir haben sehr früh erste Szenen gelesen und ausprobiert. Uns allen war schnell klar, dass die Thematik funktionieren kann, gerade auch weil es strukturelle Ähnlichkeiten zwischen ihrem Schulalltag und der Romanwelt gibt. Auch wenn es schon teilweise sehr düster ist. Wir haben versucht, immer wieder auch etwas Leichtigkeit reinzubringen. Man soll auch mal lachen dürfen.

Wie habt ihr die Freikurs-Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei der Bühnenadaption einbezogen?

David Thalmann: Unser Dilemma ist: Es ist ein TheaterFREIkurs. Alles, was wir von den Teilnehmenden verlangen, tragen diese zusätzlich zu ihrem jetzt schon immer wieder herausfordernden Schulalltag. Gleichzeitig funktioniert Theater nur ab einem bestimmten Einsatz. Wir versuchen also eine Balance zu finden, ihnen gewisse Dinge auch abzunehmen: Es musste beispielsweise niemand den Roman lesen. Die Textfassung haben wir erstellt, wir sind aber immer offen und nutzen ihr Feedback für Anpassungen. Auch dieses Interview hier führen aus Zeitgründen wir, obwohl es vielleicht spannender wäre zu hören, was die Teilnehmenden zu sagen hätten. Aber die müssen momentan noch die letzten Textpassagen auswendig lernen...

Stéphanie Maurer: Die Schülerinnen und Schüler tragen vor allem auch die Verantwortung für die Umsetzung und Ausgestaltung der Figuren. Da geben wir sehr wenig vor. Es liegt uns aber sehr am Herzen, das Stück mit den Schülerinnen und Schülern zu entwickeln. Am Schluss ist es ihr Stück, nicht unseres.

Welches waren die grössten Herausforderungen in den letzten Wochen?

David Thalmann: Die Belastung auf Seiten der Teilnehmenden im Auge zu behalten und dennoch einen Abend zu kreieren, der immer wieder verzaubert. Hinter mancher Leichtigkeit auf der Bühne steckt viel Probenarbeit. Kurz gesagt: Wir mussten einen Mittelweg zwischen Belastung, kreativem Prozess, Stress und Spass finden …

… und das bei einer sehr kurzen Probezeit von drei Monaten. Welche besonderen Momente bleiben euch in Erinnerung?

Stéphanie Maurer: Oft kommen die Schülerinnen und Schüler um 16 Uhr völlig erschöpft vom langen Schultag in die Probe. Umso schöner ist es, wenn sie eineinhalb Stunden später wieder beschwingt nach Hause gehen.

David Thalmann: Total schön zu beobachten war, wie die Gruppe sehr schnell zu einem vertrauten Umgang untereinander gefunden hat. Die Teilnehmenden kommen ja aus verschiedenen Klassen und aus allen drei Abteilungen der Kanti (IMS, FMS und GYM). Wenn die Gruppe vor einer Probe zusammenfindet, geht der Austausch immer gleich los: Es geht um den stressigen Schulalltag, die anstehenden Prüfungen, wie manche Dinge in anderen Klassen oder bei anderen Lehrpersonen sind, es wird getratscht, gelästert und viel gelacht. Diese Beobachtung hat dann auch Eingang in unser Stück gefunden – wie, verraten wir hier natürlich nicht ...
Stéphanie Maurer: … und dann all die Probenmomente, die Gänsehaut erzeugen. Das ist grossartig.

Neben den wöchentlichen Freikurs-Lektionen haben sich die Schauspielerinnen und Schauspieler an drei Blocktagen in ihrer Freizeit getroffen.

Theater bedeutet euch beiden sehr viel. Stéphanie, du bist Programmverantwortliche beim Theater Frauenfeld, und du, David, hast drei Jahre lang am Theater Basel als Regieassistent gearbeitet. Warum ist es wichtig, dass Jugendliche an unserer Kanti die Chance haben, ein Theaterstück auf die Bühne zu bringen?

David Thalmann: Theater bietet das Potenzial, sich vielschichtig mit einem Thema zu beschäftigen. Und zwar nicht nur kognitiv, sondern man bringt seinen ganzen Körper, seine Stimme, seine ganze Ausdruckskraft mit ins Spiel. Pädagogisch gesprochen, auch wenn ich dieses Wort im Theaterzusammenhang nicht sonderlich mag: Ganz viele verschiedene Kompetenzen werden gleichzeitig gefördert, auch solche, die im Schulalltag sonst nicht so häufig zu erleben sind, aber dennoch absolut wichtig in der Entwicklung eines jungen Menschen sind.

Stéphanie Maurer: Einerseits bietet der Theaterfreikurs den Jugendlichen die Möglichkeit, Teil es längeren kreativen Prozesses zu sein. Andererseits bietet Theater auch eine Perspektivenwechsel. In verschiedene Rollen zu schlüpfen kann herausfordernd, aber auch bereichernd sein. Gleichzeitig ist Theater aber auch so wunderbar einfach und befreiend. Als Person ist man auf sich selbst «reduziert», denn als Instrumente dienen nur die eigene Stimme und der eigene Körper. Diese Unmittelbarkeit erleben die Schülerinnen und Schüler im Schulalltag selten. Vor allem aber schafft Theater das, was ich im Alltag manchmal sehr schwierig finde: die Schönheit des Moments zu erleben und zu geniessen.

Welche Entwicklung habt ihr bei den Schülerinnen und Schülern festgestellt?

Stéphanie Maurer: Faszinierend finde ich immer wieder, wie viel schauspielerisches Potential schon in den Schülerinnen und Schülern steckt und wie schnell sie anfängliche Hemmungen oder Unsicherheiten verlieren. Selbst die schrägsten Aufwärmübungen meistert diese Gruppe inzwischen mit Leichtigkeit. Es macht richtig Spass, wenn man merkt, dass sie sich voll in die Sache reingeben.

Mit der zweiten Aufführung am 22. Mai wird eine intensive Zeit zu Ende gehen. Wie wird das sein für euch, wenn das Publikum am Ende applaudiert?

David Thalmann: Bis anhin war der Schlussapplaus für die Teilnehmenden immer eine grosse Genugtuung, der Lohn für ihren geleisteten Einsatz. Wir hoffen, dass es natürlich auch dieses Mal so sein wird.

Stéphanie Maurer: Ich versuche den Moment zu geniessen, bis das Saallicht erlischt.

David Thalmann: Und ich klappe die Textfassung dann auch gerne mal wieder zu.

Fragen: DUL

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Die Schülerinnen und Schüler zeigen das Stück «Hochhausspringerin» am Mittwoch, 21. Mai, und am Donnerstag, 22. Mai, ab 19.30 Uhr in der Aula im Neubau (Raum N101). Der Eintritt ist frei.