(Un)bekannte Kanti - wer ist da abgebildet?

Thomas Bornhauser (Dokumentationsstelle der KF)

Vermutlich sind Ihnen die beiden Porträts über dem Eingang der Kanti noch gar nie aufgefallen. Doch es müssen bedeutende Persönlichkeiten sein, wenn sie so prominent über dem Hauptportal angebracht sind. Was sind das für Personen, warum wurden sie hier verewigt?

Wenn man genauer auf die schon recht verwitterten Medaillons schaut, dann kann man zwei Schriften lesen: Minister Dr. J. C. Kern und Pfarrer T. Bornhauser. Was haben ein Minister und ein Pfarrer mit der Kantonsschule zu tun?
Die zwei Personen waren bedeutende Thurgauer des 19. Jahrhunderts – und sie waren hauptverantwortlich, dass im Thurgau eine Kantonsschule entstanden ist.

Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Thurgau ein selbständiger Kanton wurde, hatte er keine höhere Bildungsstätte. Das brauchte er bisher auch nicht, denn als Untertanengebiet bestimmten die Gebildeten in den freundeidgenössischen Herrscherkantonen, wer eine Stelle als «Herr» im Thurgau bekam. Nach 1803 war das anders. Jetzt bestand Bedarf an höher Gebildeten, zum Beispiel. als Lehrer, Pfarrer, höhere Verwaltungsangestellte, Ingenieure, Unternehmer. Deshalb gab es schon früh Stimmen, die für eine höhere Bildung eintraten. Verstärkt wurde diese durch das Aufkommen einer politischen Reformgruppe, an deren Spitze der Arboner Pfarrer Thomas Bornhauser stand. Bornhauser war ein radikaler, schon fast revolutionärer Agitator, der Einfluss durch mitreissende Reden und Zeitungsartikel hatte. Er trat ein für eine stärkere Einbindung des Volkes in die Politik und befürwortete eine bessere Bildung. Ihm schwebte allerdings zuerst eine höhere Schule pro Bezirk vor. Nach langen Diskussionen beschloss das Kantonsparlament, in Kreuzlingen im nicht mehr gebrauchten Augustinerstift ein Lehrerseminar einzurichten. So konnten ab 1832 Lehrer für die Thurgauer Volksschulen ausgebildet werden. Auch weitere Reformen im politischen Bereich wurden in der Folge dank der Reformbewegung umgesetzt. Der Thurgau wurde so zu einem fortschrittlichen Kanton. Thomas Bornhauser war zweifelloseiner der bedeutendsten Thurgauer in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Briefmarke der Schweizerischen Post 1980 (Foto P. Giger)

Doch eine Schule, deren Abgänger an einer Universität studieren und im Kanton als Arzt, Pfarrer oder Ingenieur arbeiten konnten, fehlte weiterhin. Wichtigster Sprecher der liberalen Gruppe, die eine weitere höhere Schule forderte, war Johann Konrad Kern. Er stammt aus Berlingen und war seit den 1830er Jahren Thurgauer Grossrat, bald Präsident des Erziehungsrates, später Oberrichter und gleichzeitig (!) Regierungsrat. Er war ein unermüdlicher Schaffer und hervorragender Kommunikator.

Kern war auch führend in der schweizerischen liberalen Bewegung, die nach dem Sonderbundskrieg zur Gründung des Bundesstaates von heute führte. Er war einer der Hauptbeteiligten bei der Ausarbeitung der Schweizerischen Bundesverfassung von 1848. Kern verzichtete aber auf einen Bundesratssitz und wurde stattdessen erster Präsident des Bundesgerichts, dazu war er National- und später Ständerat. Als Präsident des schweizerischen Schulrates war er hauptbeteiligt an der Gründung der ETH in Zürich. Eine dritte Karriere startete er Ende der 1850er Jahre, als er für Jahre als schweizerischer Botschafter (damals Minister genannt) nach Paris ging. Dort zeichnete er sich mehrmals dadurch aus, dass er zwischen verfeindeten Nationen vermittelte. Johann Konrad Kern war nicht nur eine zentrale Thurgauer Persönlichkeit, sondern einer der bedeutendsten Schweizer Mitte des 19. Jahrhunderts.

Im Thurgau schien unter Einfluss von Kern und Bornhauser Mitte der 1840er Jahre die Zeit reif für eine höhere Schule. Aber wo sollte diese stehen? Die Stadt Frauenfeld bewarb sich neben Diessenhofen und Weinfelden als Standort und baute auch gleich ein Gebäude (es ist die heutige Kantonsbibliothek an der Promenadenstrasse). Dies bevor sich die Politiker einig wurden, wo und ob es überhaupt eine solche Schule geben sollte! Erst 1852 fand sich im Parlament eine Mehrheit, doch dann lehnte die Thurgauer Stimmbevölkerung mit dem Schlagwort «Keine Herrenschule» ein entsprechendes Gesetz ab. Man wollte das Geld, das der Thurgau durch die Auflösung der Klöster erhalten hatte, lieber für die Volksschulen einsetzen.

Was nun? Blitzartig erarbeitete man im Jahr darauf ein neues Gesetz, nach dem nun mehr Geld von den aufgehobenen Klöstern an die Primar- und Sekundarschulen ging, und nun akzeptierte die Thurgauer Bevölkerung das Gesetz. Bereits ein Vierteljahr später (!), am 14. November 1853 nahm die Kantonsschule den Schulbetrieb auf – nachdem man schnell ein halbes Dutzend Lehrer rekrutiert hatte.

Die ersten Jahrzehnte der Schule waren turbulent. Es mussten laufend neue Lehrkräfte eingestellt werden, da die Klassenzahl stieg und viele Lehrer an Schulen in anderen Kantonen absprangen, wo die Arbeitsbedingungen besser waren. Zeitweise bestand fast die Hälfte der Lehrerschaft aus Deutschen. Nachdem sich die Situation beruhigt hatte, kam ein grosser Schüleranstieg noch vor 1900. Es brauchte ein grösseres Schulgebäude, was das Thurgauer Stimmvolk aber 1906 wiederum mit dem Vorwurf der Herrenschule ablehnte. Erst nach einer zweiten Abstimmung konnte 1911 das neue Gebäude an der Ringstrasse, das heutige Hauptgebäude, bezogen werden.

Festkarte zur Einweihung der neuen Thurgauischen Kantonsschule 1911 (Dokumentationsstelle der KF)


In den 1920er Jahren blickte man im Kanton auf die Gründung der Kantonsschule vor 70 Jahren zurück. Der Regierungsrat beschloss, Thomas Bornhauser und Johann Konrad Kern als den beiden verdienstvollen «Gründern» der Kanti ein Denkmal zu setzen und beauftragte den jungen Thurgauer Künstler Otto Schilt damit, die Medaillons über dem Haupteingang anzufertigen. Das war aber in der mehrheitlich konservativen Lehrerschaft umstritten. Denn damals bekämpften sich die zwei grossen politische Parteien der Freisinnigen und der Demokraten. Weil Bornhauser als Gründervater der Demokraten gesehen wurde, war die Lehrerschaft von der Ehrung Bornhausers wenig angetan. Die Regierung setzte sich jedoch durch, und aus heutiger Sicht haben es die beiden sehr unterschiedlichen Politiker verdient, dass man sich ihres Engagements für die Gründung der Kantonsschule erinnert.

Text: Peter Giger

Bilder: Karin Hurter und Peter Giger

Galerie:

Reliefs von T. Bornhauser und J. C. Kern.

Frauenfeld – Promenade und Spannerquartier um 1925. Unten rechts die alte Kantonsschule (heute Kantonsbibliothek), dahinter das Hinterhaus der alten Kantonsschule (später Konvikt, heute Obergericht), oben in der Mitte die neue Kantonsschule (heute Hauptbau). Postkarte von G. Walder, Ansichtskartensammlung von H. U. Guhl; auch abgedruckt bei Angelus Hux, Sie schickten Frauenfeld in alle Welt. Die Fotografen und Kartenverleger Carl und Gottwalt Walder, 2018 Frauenfeld.

Die neue Kantonsschule im Winter 1911/12 (Amt fürDenkmalpflege Thurgau)

Frauenfeld Kanti-Einweihung