Flavia Scheiwiller, Juristin und Präsidentin der Jungen Mitte Thurgau, erzählt uns von den Gefahren der Digitalisierung, die unsere Demokratie bedrohen. SchränkenAlgorithmen unser Meinungsbild ein und bringen öffentliche Räume nur Vorteile mit sich?
Du bist studierte Juristin, arbeitest momentan beim Rechtsdienst des Kantons Thurgau und bist nebenbei noch als Präsidentin bei der Jungen Mitte tätig. Wie kamst du zur Politik?
Schon zu Hause wurde bei uns viel über Politik gesprochen – oft lebhaft und mit echtem Interesse. Meine Eltern waren immer sehr gut über politische Gegebenheiten informiert und so entstand früh meine Neugier an politischen Themen. Anfangs war ich in vielen Vereinen tätig, aber mit der Zeit wollte ich lieber in einer Partei aktiv sein. Somit setzte ich mich mehr mit der Politik auseinander und machte nebenbei ein Praktikum am Bezirksgericht Münchwilen. Der damalige Präsident des Bezirksgerichts war zu der Zeit an einem Projekt dran. Es ging darum eine junge Liste bei den Kantonsratswahlen zu machen. Im Rahmen seinesProjektes fragte er mich, ob ich Interesse hätte, für die Junge Mitte zu kandidieren. Dies tat ich auch und somit war das der Anfang meiner Karriere.
Für was stehst du ein und was möchtest du bewirken?
Ein zentrales Thema für mich ist die Gleichberechtigung – insbesondere die Stärkung von Frauen in der Gesellschaft. Die Mitte setzt sich stark dafür ein, Lösungen für alle Menschen zu finden und nicht die Dinge zu polarisieren und somit auf seinen eigenen Standpunkten zu beharren und zu keiner Lösung kommen. Mich ärgert es, wenn Initiativen lanciert werden, bei denen völlig offenbleibt, wie sie überhaupt umgesetzt werden sollen. Die 13. AHV-Rente ist so ein Beispiel:Die Idee mag berechtigt sein, aber ohne klaren Plan zur Finanzierung bleibt sie ein Wunschdenken – und das hilft am Ende niemandem.
Wir haben im Voraus mehr über dich recherchiert und herausgefunden, dass du aktiv in den sozialen Medien bist, besonders auf Instagram und X. Wie wichtig sind für dich die sozialen Medien während Wahlkampfzeiten oder auch wenn gerade kein Wahlkampf ist?
Es ist ein neuer nützlicher Zugang, um an Wähler zu kommen, insbesondere junge Leute. Vor allem als junge Politikerin hat man durch die sozialen Medien bessere Chancen, um junge Leute zu motivieren, dass sie wählen gehen.
Unsere Recherche hat ergeben, dass es Parteien gibt, die sehr viel Aufwand und Geld in ihren Wahlkampf investieren, speziell auch für die sozialen Medien. Würdest du sagen, dies lohnt sich, obwohl die fehlende Sicherheit besteht, dass es gut ankommt und von vielen Menschen gesehen?
Ich denke schon – zumindest momentan. Verglichen mit anderen Wahlkampfformaten sind soziale Medien relativ günstig und haben eine grosse Reichweite. Wir betreiben ab und zu auch noch sogenannten Türwahlkampf, wo wir von Tür zu Tür gehen, und den Leuten mitteilen, dass wir kandidieren. Diese Methode erfordert sehr vielZeit, die das Werben durch soziale Medien als einfachere Option dastehen lässt.
Es gibt Leute, die behaupten, dank den sozialen Medien hätte Trump die Wahl gewonnen. Glaubst du, dass die Allgemeinheit stark von den sozialen Medien beeinflusst wird?
Ich glaube, dass der Einfluss der sozialen Medien sehr gross ist und dass man ihn auch häufig unterschätzt. Wenn man sich nur über die sozialen Medien informiert, muss man sich aktiv darum bemühen, mehrere Seiten anzuschauen. Die Algorithmen zeigen uns meistens nur noch eine Seite und man vergisst dann, dass es auch noch eine andere Meinung geben kann. Man bekommt dann das Gefühl, dass seineMeinung die einzige richtige wäre und bezieht die andere Seite gar nicht inBetracht.
Politik ist bei vielen Jugendlichen kein beliebtes Thema. Wie könnte man durch Instagram, TikTok und X Politik den Jugendlichen schmackhafter machen?
Ich denke,zum Teil wirkt die Politik zu kompliziert und man müsste durch die sozialen Medien, mit einfachen Beispielen aus dem Alltag zeigen, wo die Politik stattfindet. Ich glaube, es ist auch schwierig auf Instagram so ein Thema zu erklären, weil die meisten nach der Arbeit darauf entspannen wollen. Die meisten haben dann keine Lust auf ein trockenes Thema erklärt zu bekommen. Die Erklärungen müssten unterhaltsam sein, um so den Jugendlichen die Politik näher zu bringen.
Die Digitalisierung hat unseren Alltag schon sehr verändert. Was glaubst du, wie wird die Digitalisierung unsere Demokratie verändern?
Die Digitalisierung bringt grosse Chancen, aber auch Risiken. Informationen werden viel schneller verbreitet, doch man weiss nicht immer, wer hinter einem Post steckt. Früher wurden alle Informationen von ausgebildeten Journalistenveröffentlicht und man konnte eher davon ausgehen, dass der Journalist sich gut informiert hat. Digital ist es viel einfacher, anonym zu bleiben. Es könnte teilweise die Gefahr bestehen, dass die Demokratie von einer falschen Seite beeinflusst wird. Die sozialen Medien sind ein ungeschützter Raum, in dem jeder seine Meinung sagen darf. Das ist Fluch und Segen zugleich.
Das Gespräch führten: Luisa Paiva und Finn Bürgi (2me)