«Offenheit, Begeisterungsfähigkeit und Mut, dich auf Neues einzulassen. Freude mit Bewegung, Ausdruck, Sprache und Musik zu experimentieren.» So wirbt der Theaterfreikurs. Das Kursleiterteam David Thalmann und Stéphanie Maurer setzen dabei die Schülerinnen und Schüler ins Zentrum. Sie sollen mitbestimmen, was auf die Bühne kommt. Schliesslich sind es auch sie, die mit ihrem Spiel die Aufführung überhaupt erst möglich machen. Der Weg zur Premiere, zu Scheinwerferlicht und Schlussapplaus ist enorm vielfältig. Dahinter steckt Arbeit und Durchhaltewillen, aber vor allem auch Freude, Energie und Herzblut. Bis eine Szene locker und leicht daherkommt, heisst Theaterspielen oft wiederholen, ausprobieren, Spass haben, lachen, sich ärgern, unzufrieden sein, hinterfragen, nur um vielleicht alles noch einmal über den Haufen zu werfen. Ein steter Prozess, der sich aber immer wieder lohnt!
David Thalmann war für gut drei Jahre Regieassistent am Theater Basel und bringt viel Erfahrung aus der professionellen Theaterarbeit mit. Er kennt die Vielfalt des Theaterschaffens, die Hochs und Tiefs, die es in jeder Produktion gibt, aber vor allem auch die Erfüllung, wenn gemeinsam ein Projekt zur Premiere kommt! Stéphanie Maurer ist Programmverantwortliche des Theatervereins Frauenfeld. Sie bringt einen theaterpädagogischen Hintergrund mit und kennt eine Unmenge an praktischen Theaterübungen, die jeden individuell abholen, herausfordern, teilweise Überwindung brauchen, aber immer sehr viel Spass machen. Beides sind leidenschaftliche Theatergänger und Deutschlehrpersonen an der Kantonsschule Frauenfeld. Die Idee eines Theaterfreikurses reifte in den beiden im Jahr 2017 heran und stiess auf reges Interesse.
In den Jahren von 2017 bis 2021 ging es Schlag auf Schlag. Eine Produktion aus dem Frühsommer 2018 beschäftigte sich unter dem Namen TEEN SMELLS LIKE SPIRIT mit dem Lebensgefühl Jugend. Mit viel «Nirvana»-Attitude und Spielfreude wurde dieser komplett selbst entwickelte Abend ein voller Erfolg und legte den Grundstein für die weiterführende Theaterarbeit an der Kanti. 2019 brachte der Theaterfreikurs den Debütroman LANZ des jungen Schweizer Schriftstellers Flurin Jecker auf die Bühne: Neun Schülerinnen und Schüler der HMS, FMS und des Gymnasiums schlüpften in die Rolle des Lanz und zeigten die Geschichte eines sympathischen Antihelden, der zwischen Euphorie und Traurigkeit durch seinen Alltag taumelt und dabei versucht, mit den Zumutungen der Jugend zurechtzukommen.
Diese ersten Inszenierungen setzten in der Lebenswelt der Jugendlichen an. Als eigentliche Profis auf diesem Gebiet konnten sie sich einbringen und mitgestalten. Was bei Lanz und TEEN SMELLS LIKE SPIRIT interessierte, war nicht nur die äussere Handlung, sondern vor allem die Emotionen und Gedanken, die dahinterstecken. Das Grundgefühl einer jeden Szene für das Publikum erfahrbar zu machen, war das Ziel. Dazu brauchte es die Bereitschaft aller Beteiligten, sich mit den Bühnenfiguren auseinanderzusetzen, sich auch einmal von einer anderen Seite zu zeigen, mit der Stimme zu spielen und den Körper sprechen zu lassen. Hilfsmittel wie Mikrofone, Instrumente, Scheinwerfer, Live-Kamera, Kostüme und Requisiten helfen zwar, um Atmosphäre zu generieren, das «Menschliche» einer Figur kann allerdings nur durch Menschen ausgedrückt werden. So wurde viel improvisiert, ausprobiert, gespielt, getextet, manches wieder verworfen, gezweifelt, gelacht und eben – Theater gemacht.
Dann wurde es Zeit für einen neuen Ansatz. Jugendliche müssen nicht immer Jugendliche spielen. So reiste die nächste Freikursgruppe direkt ins Mittelalter. Mit DAS LIED DES SCHWEIGENS erarbeiteten sie ab Sommer 2019 eine Version des Nibelungenliedes, samt Rittern, Intrigen, Rache, Mord und Todschlag – typisch Mittelalter eben. Dieses Mal sollten auch filmische Elemente in die Aufführung mit einfliessen. Fast alles war bereit für die Premiere – dann aber schlug zwei Wochen vor dem Ziel der erste Lockdown zu. Die Vorstellungen mussten abgesagt werden, die Schauspielerinnen und Schauspieler blieben zu Hause und anstatt Premierenfreude machte sich etwas Frust breit. Es zeigte sich, dass auch die erfüllendste Probenzeit nicht den Lohn einer Aufführung ersetzen kann!
Im darauffolgenden Schuljahr wurde mit einer neuen Gruppe unter Pandemiebedingungen weitergearbeitet – so gut es eben ging. Die Schauspielerinnen und Schauspieler probten tapfer mit Maske und der Ungewissheit, ob eine Aufführung überhaupt möglich sein würde, an einer eigenen Interpretation von Dürrenmatts Klassiker DIE PANNE. Die Lage blieb unsicher. Und so erlebte diese Produktion dasselbe Schicksal wie so viele kreative Projekte jener Zeit: Sie durften nie auf der Bühne vor Publikum glänzen. Klar wurde hierbei, dass der Theaterprozess immer ein kreativer und manchmal auch ein ungewisser ist, dass aber das gemeinsame Ziel der Premiere die Gruppe zusammenschweisst und Vorfreude auslöst.
Seit der covidbedingten Zwangspause ruht der Theaterfreikurs an unserer Schule. Dies soll sich nun ändern: Auf der Basis einer literarischen Vorlage wird die Theatergruppe gemeinsam mit den beiden Lehrpersonen ein neues Stück entwickeln und inszenieren. Emotionen, Spontanität und Kreativität stehen dabei im Zentrum. Theaterspielen heisst, eine Rolle anzunehmen. Und eine Rolle annehmen, heisst, nicht sich selbst sein zu müssen auf der Bühne. Darin steckt eine enorme Freiheit. Nichts scheint unmöglich auf den Brettern, die die Welt bedeuten.
Text und Fotos: Stéphanie Maurer und David Thalmann; sämtliche Bilder stammen von Proben der Inszenierung LANZ (2019).