Eine offene Gesprächskultur stärkt die Schülerinnen und Schüler

Die spürbare Belastung für Schülerinnen und Schüler ist hoch. Wie lässt sich ihre mentale Gesundheit im Schulalltag verbessern? Kurt Albermann, Chefarzt und Leiter des Sozialpädiatrischen Zentrums des Kantonsspitals Winterthur, hat Antworten.

Unsere umfangreiche Umfrage zum Thema «Mental Health» hat ein bedrückendes Zustandsbild gezeichnet. Die Alltagsbelastung wird von unseren Schülerinnen und Schüler als hoch bezeichnet. Wie ordnen Sie – mit Blick auf andere Untersuchungen – die Ergebnisse an unserer Schule ein?

Dr. med. Kurt Albermann: Die Umfrageergebnisse spiegeln eine allgemein beobachtbare Entwicklung wider: Der Leistungsdruck in der Schule und auch selbst erzeugter Stress belasten viele Jugendliche erheblich. Diese Tendenz steht im Zusammenhang mit der zunehmenden Verdichtung des Alltags, Unsicherheiten und dem Fehlen geeigneter Strategien zur Bewältigung der sich rasant verändernden Lebenswelt. Die Förderung von Selbstregulation, Resilienz und psychischer Stabilität sollte daher eine zentrale Rolle spielen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Schülerinnen und Schülern, Lehrpersonen, Eltern und Fachkräften ist essenziell, um Belastungen zu reduzieren und die psychische Gesundheit zu stärken.

Kurt Albermann leitet das Sozialpädiatrische Zentrum des Kantonsspitals Winterthur.

Belastungen im Alltag wirken sich auf die Schlafmenge und -qualität aus. Zu häufig kommen Jugendliche übermüdet zur Schule. Wie könnte man diesen Teufelskreis brechen?

Albermann: Ein chronischer Schlafmangel beeinträchtigt kognitive Fähigkeiten, emotionale Regulation und die allgemeine Gesundheit. Schulen könnten durch angepasste Stundenpläne mit späterem Unterrichtsbeginn, Aufklärung über gesunde Schlafhygiene und den bewussten Umgang mit digitalen Medien zur Verbesserung der Schlafqualität beitragen. Eltern sollten zudem darauf achten, feste Schlafenszeiten zu etablieren und Bildschirmzeiten vor dem Schlafengehen zu begrenzen. Gemeinsam mit Eltern und Schülerinnen und Schülern könnte ein freiwilliger Chatverzicht, beispielsweise von Sonntag bis Freitag zwischen 22 und 6 Uhr, diskutiert und für einen gewissen Zeitraum ausprobiert und evaluiert werden. In Abständen sollte man sich die Frage stellen, wie, mit was und mit wem man seine Zeit verbringen möchte.

Sozialpsychologe Jonathan Haidt identifiziert in seinem Buch «The Anxious Generation» zwei Hauptfaktoren für den kritischen mentalen Zustand junger Menschen: den zunehmenden Gebrauch von Smartphones und sozialen Medien sowie überprotektive Erziehungsstile. Bestätigen Sie Haidts Sichtweise?

Albermann: Haidts Analyse weist auf zwei zentrale Entwicklungen hin, die nachweislich mit einem Anstieg psychischer Belastungen bei Jugendlichen in Verbindung stehen. Exzessive Nutzung sozialer Medien kann durch Vergleiche, Cybermobbing und permanente Erreichbarkeit Stress auslösen. Gleichzeitig führt ein überprotektiver Erziehungsstil dazu, dass Kinder und Jugendliche weniger Möglichkeiten haben, eigenständige Bewältigungsstrategien zu entwickeln.

Anwendungen mit künstlicher Intelligenz (KI) werden zunehmend auch im Schulalltag eingesetzt. Tut uns KI gut oder wirkt diese Mega-Technologie belastend auf unsere Psyche?

Albermann: KI kann sowohl entlastend als auch herausfordernd wirken. Sie bietet grosse Chancen, Lernprozesse zu individualisieren, den Zugang zu Wissen zu erleichtern und administrative Aufgaben zu reduzieren. Gleichzeitig kann der ständige technologische Wandel Unsicherheiten und Überforderung hervorrufen. Der Schlüssel liegt in einem reflektierten Einsatz: KI sollte als unterstützendes Werkzeug genutzt werden, ohne grundlegende kognitive und soziale Fähigkeiten zu ersetzen. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Technologie und die Vermittlung digitaler Resilienz sind hierbei entscheidend.

Welchen konkreten Beitrag kann eine Schule leisten, damit die Jugendlichen im Alltag weniger «anxious» sind?

Albermann: Schulen können auf mehreren Ebenen präventiv wirken. Dazu gehört die Förderung eines positiven Schulklimas mit einer offenen Gesprächskultur und einem wertschätzenden Miteinander. Um Jugendlichen ein gesundes Aufwachsen zu ermöglichen, ist ein ganzheitlicher Ansatz essenziell, der kognitive, soziale und emotionale Kompetenzen gleichermassen stärkt, kreative Potenziale und gegenseitiges Vertrauen fördert und auch die positiven Effekte einer ausgewogenen Ernährung und ausreichender Bewegung berücksichtigt.

Fragen: Thomas Moll

---

Zur Person. Dr. med. Kurt Albermann ist Chefarzt des Sozialpädiatrischen Zentrums (SPZ) am Kantonsspital Winterthur und hat zwei Facharzttitel: einen für Kinder- und Jugendpsychiatrie und einen für Kinder- und Jugendmedizin. In seiner Rolle leitet er das SPZ, das Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre betreut. Albermann hat zahlreiche wissenschaftliche Publikationen verfasst, darunter Arbeiten zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Zudem engagiert er sich für die Förderung der psychischen Gesundheit junger Menschen und setzt sich für präventive Massnahmen ein. Er unterstützte uns 2024 bei der Konzeption der Umfrage «Wie geht’s?» und stand auch bei der Interpretation der Ergebnisse beratend zur Seite. MOT