Was macht eigentlich ... Lucy Bolt?

Lucy Bolt und Fabian Sidler kamen 2007 in die Klasse 1ma, verliebten sich nach der Matura und arbeiten nun zusammen am Inselspital. Ihre ehemalige Englischlehrerin hat die beiden in Bern getroffen – und mit Lucy auf den Weg von der Schülerin zur Oberärztin zurückgeschaut.

An einem sonnigen Frühlingstag im April fahre ich mit dem Zug nach Bern und lese im Bus nochmals die akkuraten Instruktionen betreffend Treffpunkt, die mir Lucy gemailt hat. Kurz darauf steige ich beim Inselspital aus und finde die Eingangshalle des neuen Bettenhauses «Anna Seiler» auf Anhieb. Ob ich Lucy noch erkenne?

Lucy Bolt am ersten Schultag (August 2007).

Mein Blick fällt auf eine junge Frau mit langen braunen Haaren, Brille und Inselspital-Batch. Ja, auch vierzehn Jahre nach der Matura sieht Lucy noch aus wie damals – trotz Medizinstudium, strenger Assistenzzeit und Arbeit als Oberärztin hat ihr Gesicht noch die gleichen jugendlichen Züge.

Unterdessen arbeitet Lucy als Oberärztin am Inselspital Bern.

Wir fahren ein paar Etagen nach oben und essen gemeinsam Zmittag. Für ein paar Minuten stösst ihr Mann und ehemaliger Mitschüler Fabian Sidler zu uns. Auch er hat Medizin studiert und arbeitet im Inselspital, allerdings auf einer anderen Abteilung. Für eine kurze Zeit war Lucy sogar Fabians Vorgesetzte. Da musste er nach eigenen Angaben jeweils auch zuhause für seine Versehen bei der Arbeit geradestehen, wie er mit einem Augenzwinkern erzählt.

Fabian hat nur kurz Zeit, die Arbeit ruft ihn bald ins Büro zurück. Die beiden waren zwar in der gleichen Klasse, haben sich aber erst wenige Jahre nach der Matura lieben gelernt. Fabian arbeitet als Assistenzarzt auf der Hepatologie (Leberheilkunde). Er arbeitet auf dem Papier 50 Stunden die Woche, in Realität jedoch um einiges mehr.

Lucy ist seit Oktober 2023 Oberärztin und hat ein Wochensoll von 46 Stunden auf Papier. Sie arbeitet zu 70% in der Klinik und zu 30% in der Forschung. Solche bezahlte Forschungsplätze sind selten und in der Regel über ein projektbezogenes persönliches Forschungsstipendium finanziert. Sie forscht zu Überversorgung beziehungsweise Fehlversorgung in der Medizin. Da ich mir wenig Konkretes darunter vorstellen kann, bringt sie das Beispiel einer Blasenentzündung, die standardmässig zu oft mit Antibiotika behandelt wird, obwohl es dies nur in ausgewählten Fällen braucht. Ein Ziel ihrer Forschungstätigkeit wäre es, diesen Übergebrauch zu reduzieren. In der Forschung liest und schreibt sie ausschliesslich auf Englisch, was mich als ihre ehemalige Englischlehrerin natürlich freut.

Klasse 1ma (August 2007): Lucy ist die erste von links in der ersten Reihe, Fabian zweiter von links in der zweiten Reihe.

Lucy, an was denkst du als erstes, wenn du dich an deine Kanti-Zeit erinnerst?

Lucy Bolt: Es waren schöne und positive vier Jahre für mich. Wir hatten eine gute Klasse und ich habe immer noch enge Freundschaften zu verschiedenen Klassenkameradinnen. Es ist spannend, wie wir uns in unterschiedliche Richtungen entwickelten und doch noch sehr viele Gemeinsamkeiten haben.

Wie hat dich die Kanti-Zeit geprägt und was hast du insbesondere mitgenommen?

Lucy Bolt: Das war eine prägende Zeit in meinem Leben, da ich im Kreise meiner Peers die ersten Schritte ins Erwachsenenalter machen durfte. Meine Familie zog nach zwei Jahren Kanti von Frauenfeld nach Winterthur, was für mich einen weiteren Anfang meiner Unabhängigkeit markiert hat. Unter anderem auch das Pendeln ermöglichte mir neue Freiräume für Erfahrungen. Profitiert habe ich vor allem vom selbständigen Arbeiten. Unser damaliger Chemielehrer Stefan Frey hat mich in dieser Beziehung besonders geprägt, und so haben mir die Erfahrungen bezüglich Zeitmanagement, Arbeitsteilung und das Aneignen von Selbstdisziplin das Medizinstudium sicher erleichtert.

Wo hättest du im Nachhinein mehr profitieren sollen?

Lucy Bolt: Das ist eine gute Frage. Ich denke, heute würde ich vieles entspannter nehmen. Klar, es war eine wichtige Zeit, in der man sich immer wieder beweisen musste. Aber wenn eine Prüfung mal schlecht herauskommt, würde ich es heute nicht mehr als Weltuntergang sehen. Etwas mehr Gelassenheit hätte ich sicherlich haben können. Etwas, das mir erst später bewusstwurde, ist, dass ich zum Zeitpunkt der Matura auf dem Höhepunkt meines Allgemeinwissens war. Dem trauere ich manchmal nach. Das Studium führt ohnehin schon zu einer Spezialisierung und danach spezialisiert man sich als Assistenzarzt bzw. Assistenzärztin nochmals weiter. So muss man schon aufpassen, dass man nicht zu einem Fachidioten wird.  

Gibt es etwas, das du in deiner Schulzeit bei uns vermisst hast?

Lucy Bolt: (lange Pause) Da fällt mir wirklich nichts ein.  Die positiven Erinnerungen blieben wohl besser in Erinnerung.

Wenn du deinen heutigen Arbeitsalltag mit der Kantizeit vergleichst, wo siehst du die grössten Unterschiede?

Lucy Bolt: Eigentlich kann ich das gar nicht vergleichen; es ist komplett anders. Sicher aber in der Verantwortung. Hier muss ich täglich liefern und kann nicht nur konsumieren. Es gibt kein Chillen in der Schulbank. Auch sind meine Tage häufig sehr ähnlich, jedoch spannend und man weiss nie genau, was der Tag bringt. Ich starte zwischen 7.30 und 8 Uhr mit der Arbeit und lese mich ein. Dann folgt der Rapport, ich erledige Administratives oder gehe auf Visite bei den Patientinnen und Patienten. Vor der Mittagspause haben wir häufig eine Weiterbildung, dann leite ich oft Kurse für die Studierenden, erledige Administratives (von dem es immer mehr gibt) und habe Besprechungen. Zwischen 17.30 und 18 Uhr beende ich in der Regel meinen Arbeitstag, obwohl sich dies bei hoher Arbeitslast oder Notfällen auch deutlich nach hinten verschieben kann. Wenn ich an meiner Forschung arbeite – wie heute – bin ich flexibler und kann auch am Abend ohne Probleme oder Stress abmachen. Der Alltag steht in grossem Gegensatz zum inhaltlich variantenreichen Tagesablauf gemäss Stundenplan an der Kanti, wo die verschiedenen Fächer, Sport, Freilektionen, Sondergefässe und ähnliches für viel mehr Abwechslung sorgten.

Was wünschst du dir für eine Kanti für die Zukunft?

Lucy Bolt: Die Kanti Frauenfeld hatte zu meiner Zeit einen sehr guten Ruf und ich wünsche mir, dass sie diesen sowie das hohe Niveau halten kann. Ein weiterer Wunsch ist, dass sie bei den Schülerinnen und Schülern Freude am Lernen vermitteln kann und bei der Studien- beziehungsweise Berufswahl Unterstützung bietet. Ich wusste schon sehr früh, dass ich Medizin studieren wollte, aber wenn jemand noch unsicher ist, welche Richtung er oder sie einschlagen möchte, ist eine solche Unterstützung in diesen prägenden Jahren sehr wertvoll.

Interview: Janine Landolt-Spiegel (4. April 2025, Inselspital Bern)

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Zur Person: Lucy Bolt hat 2011 die Matura gemacht (Schwerpunkt: Bio-Chemie) und danach an der Universität Zürich Medizin studiert. Ihr Wahlstudienjahr führte sie an verschiedene Spitälern, u.a. nach Münsterlingen, Winterthur und St. Gallen. Aktuell ist sie Oberärztin an der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin am Inselspital Bern. Für 2026 ist ein zweijähriger Forschungsaufenthalt in Australien geplant. (LAJ)

Maturafeier 2011: Lucy ist die dritte von rechts ...

... und Fabian vierter von rechts.

Fabian am ersten Schultag (August 2007).

Und das sind die beiden heute: Fabian Sidler und Lucy Bolt.