Genau drei Stunden dauert die Zugfahrt von Frauenfeld nach Orbe. Das Städtchen am Jurafuss, südwestlich von Yverdon gelegen, ist der Wohnort von Bazil Grivat. Die über 200 Kilometer lange Bahnstrecke vom Kanton Waadt in den Thurgau fährt der Austauschschüler des Gymnase d'Yverdon zwei Mal pro Woche. «Ich habe beim Zugfahren viele Fachtexte und viel Literatur über das Immunsystem gelesen – als Einarbeitung für meine Maturaarbeit.» Die Humanmedizin habe ihn schon immer sehr interessiert, sagt Bazil, darum wollte er unbedingt im Schulfach Biologie ein Projekt umsetzen. Dass seine Maturaarbeit nun sogar in einer Fachzeitschrift veröffentlicht wurde, ist das Ergebnis von viel Ausdauer und einer tollen Unterstützung durch ein Team des Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV) in Lausanne.
Analyse von Gesundheitsdaten
Die Geschichte begann so: Die Marraine, das Gotti von Bazil, arbeitet als Personalberaterin im CHUV, dem Uni-Spital in Lausanne. Sie leitete dem Schüler ein paar interne E-Mail-Adressen weiter, an die sich Bazil wenden könne. Seine Wunschvorstellung: ein Projekt in einem Labor umsetzen mit vielen Daten und Analysen. So stiess Bazil bei seinen Kontaktversuchen am CHUV auf Vanessa Kraege, die in der Forschungsabteilung des Uni-Spitals die Betreuung von Doktorandinnen und Doktoranden verantwortet. Ein erstes Treffen in Lausanne, eine erste Besprechung – und schon schien Ende 2022 eine geeignete Fragestellung abgesteckt: Führt die Einnahme von Vitaminen und anderen Nahrungsergänzungsmittel zu einer besseren Infektabwehr?
Bazil durfte für das Projekt Daten einer bereits abgeschlossenen Kohortenstudie nutzen. Eine Kohorte ist eine definierte Patientengruppe, die über einen bestimmten Zeitraum beobachtet wird, um zu untersuchen, wie viele Personen eine gewisse Erkrankung entwickeln. Am Ende wurde seine Maturaarbeit also kein Laborprojekt, sondern beinhaltete viel Datenanalyse. «Ich wurde von Vanessa Kraege und ihrem Team in die Datenauswertung eingeführt und konnte für meine Analyse der verschiedenen Variablen ein spezielles Statistikprogramm nutzen», erzählt Bazil.
Keinen signifikaten Zusammenhang entdeckt
Die Teilnehmer der Kohortenstudie wurden eigeteilt in Personen, die Nahrungsergänzungsmittel zu sich nehmen und solchen, die das nicht tun. Das Blut der Probanden wurde auf das Vorhandensein von Antikörpern gegen Viren, Bakterien und Parasiten sowie verschiedene Entzündungsmarker untersucht. Ergebnis: Bazil konnte keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln und dem Immunstatus der Kohorten-Teilnehmer nachweisen.
Nächste Station: ein Studium an der EPFL
Für Andreas Rüegg, Fachlehrer für Biologie und Betreuer der Maturaarbeit, war das Projekt eine besondere Erfahrung: «Ich blickte mit grosser Spannung auf das Ergebnis der Maturaarbeit und insbesondere auf Bazils Forschungsresultate. Im Unterschied zu anderen Maturaarbeiten, die sich auf die Analyse von einer oder zehn Personen beschränkten, umfasste Bazils Arbeit die Untersuchung von tausenden Individuen. Dadurch gewinnt sein Ergebnis an Aussagekraft und wissenschaftlicher Relevanz.» Auch Bazil blickt sehr positiv auf die vergangenen Monate: «Ich bin glücklich, dass ich beim CHUV diesen wertvollen Einblick in die Forschungsarbeit erhalten habe», sagt er. «Die Unterstützung von Vanessa Kraege und dem leitenden Professor, dem ganzen Team war grossartig». Das Projekt habe seine Studienabsichten bestätigt: «Ich werde wahrscheinlich an der EPFL Lausanne das Studium ingénierie biomédicale in Angriff nehmen.» Zunächst steht aber an der Kantonsschule Frauenfeld noch die letzte Hürde seiner Gymi-Laufbahn an: die Maturaprüfungen im kommenden Juni.
Text: Thomas Moll; Fotos: Andreas Graf