Die junge Generation informiert sich zunehmend über Social Media – oft schneller, direkter, aber auch anfälliger für Manipulation. Die Kommunikationsberaterin Miriam Hetzel gibt Einblicke in die Welt der digitalen politischen Kommunikation.
Grüezi Frau Hetzel, danke, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben. Durch unsere Recherche haben wir herausgefunden, dass Sie für die Firma Communicators alsKommunikationsberaterin arbeiten. Könnten Sie uns erklären, was Sie dort genau machen?
Die Firma Communicators ist eine Kommunikationsagentur ausZürich. Wir sind vor allem im Bereich Public Relations und Public Affairs tätig.Das heisst, wir machen Kommunikationsdienstleistungen und Lobbyingarbeiten fürpolitische Themen. Wir verbinden Personen mit der Öffentlichkeit und stärken ihr öffentliches Image unter anderem durch Social Media Posts. Von Campaigning über Politikprozessbeobachtungen ist eigentlich alles in unserem Portfolio enthalten.
Sie arbeiten viel mit Social Media. Wie kann man Beiträge so gestalten, dass möglichst vieleLeute erreicht werden und vor allem die Zielgruppe, für die sie bestimmt sind?
Algorithmen entscheiden ziemlich genau, wem sie was zeigen. Man kann jeweils seine eigeneCommunity erreichen, aber sobald man mehr Leute erreichen möchte, ist man darauf angewiesen, dass die Plattformen Inhalte auch ausserhalb der Community anzeigen.Das heisst, man muss so arbeiten wie die Plattformen das möchten. Instagram wird zum Beispiel immer mehr eine Videoplattform, Reels funktionieren dort besser, als einzelne Beiträge mit Textpassagen. Darum müssen sich viele Unternehmen ein wenig umstellen. Man muss versuchen, über Werbung gewisse Zielgruppenspezifisch anzusprechen. Das heisst, es wird nicht nur eine Botschaft für alle verwendet, sondern es müssen mehrere leicht abgeänderte Posts zu einem Thema produziert werden.
Ist das nicht Manipulation?
Ich glaube nicht, dass es Manipulation ist, wenn man als Hauptziel hat, die Leute von der eigenenPosition zu überzeugen und akzeptiert, dass sie am Schluss immer noch selbst entscheiden können, was sie möchten. Plakatwerbung wird auch gezielt in gewissen Regionen eingesetzt, Interviews gibt man vielleicht nur bestimmten Leuten und Inserate werden in ausgewählte Zeitungen gestellt. Dieses Zuschneiden macht man also auch im Offlinebereich.
Social Media hat viele Daten über die Nutzer und so kann man ihnen spezifischereInhalte zukommen lassen. Das ist eine Verantwortung, der man sich bewusst seinmuss.
Haben Sie dasGefühl, dass Fake News oder stark übertriebene Beiträge das Meinungsbild derUser beeinflusst?
Social Media hat ein enorm grosses Potenzial für Manipulation. Während der Coronapandemie haben wir gesehen, welche Dynamiken auf Social Media entstehen können. Es ist absolut legitim, dass es verschiedene Meinungen gibt, aber teilweise wurden sehr irreführendeInhalte geteilt. Sehr viele Leute sind darauf angesprungen und waren verunsichert. Sie waren bereit, diesen Inhalt auch immer weiter zu konsumieren, was sicher zu einer Verbreitung von falschen Informationen geführt hat.
Social Media wird häufig als vierte Gewalt angesehen. Wenn sich jetzt aber ein Politiker darüber vermarktet, werden die Gewalten gemischt und das entspricht dann nicht mehr der Gewaltentrennung. Sehen Sie das als Gefahr?
Früher waren die Medien eine neutrale vierte Gewalt. Heute haben Leute, die im parlamentarischen Prozess beteiligt sind, die Möglichkeit, durch Social Media ein Teil der vierten Macht zu werden. Einerseits kommen so mehr Stimmen zu Wort. Andererseits stellt sich dann die Frage, ob wir all diese Inhalte noch aufnehmen und in einen Kontext setzen können. Ich finde es aber nicht schlecht, wenn Akteure aus einer anderen Gewalt auf Social Media präsent sind. Vor allem, weil sich die ganze Gesellschaft in den digitalen Raum bewegt- die jüngere Generation informiert sich oft ja nur noch über Social Media, statt in einer Zeitung. Sie nutzen TikTok wie Google. Deshalb ist es wichtig, dass die Jugendlichen Inhalte auch auf diesen Plattformen vorfinden und so inKontakt mit aktuellen Themen kommen. Es braucht aber weiterhin eine starke neutrale vierte Gewalt in Form der klassischen Medien. Die sozialen Medien sollen diese nicht ersetzen.
Gibt es dann auch konkrete positive Aspekte die Social Media auf die Politik hat?
Ein spannendes Beispiel ist die Aktivistin Anna Rosenwasser, die mittlerweile bei der SP ist. Über Social Media hat sie sich für die LGBTQ+Community stark gemacht und war sogar die Geschäftsführerin vom schweizerischenLGBTQ+ Verband. Zuerst parteilos, baute sie sich über Instagram eine Reichweite von 35’000 Followern auf, trat der SP bei und beteiligte sich am Nationalratswahlkampf 2023. Durch ihre Community gelang es ihr vom 20. Platz so weit aufzusteigen, sodass sie beim 1. Anlauf ins Parlament gewählt wurde - direkt in den Nationalrat. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass nun auch die Jungen die Möglichkeit haben, sich eine Community aufzubauen. Indem jüngere Leute einen Weg finden, sich eine Wählerschaft aufzubauen, kann das der Überalterung unserer Parlamente entgegenwirken.
Entscheiden sich Menschen bei ihrer politischenMeinungsbildung anders, weil sie sich an ihren Vorbildern auf Social Media orientieren?
Meine Erfahrung ist, dass Influencer nicht versuchen, die politische Meinung der Menschen zu beeinflussen. Sie sind vergleichbar mit Sportlern: Influencer sein ist für sie ein Business. Zu jedem Thema, bei dem sie sich politisch äussern, besteht die Gefahr, dass sie einen Teil ihrer Community verlieren. Wenn sie Fehler machen, verlieren sie Geld. Deswegen sind sie eher ein wenig zurückhaltend. Ich denke schon, dass Influencer auch die Meinung der Personen beeinflussen können. Gerade, wenn diese Personen schon lange Follower sind, haben sie ein gewisses Bild von diesen Influencern und vertrauen ihnen. Sie sind eine Quelle, der sie für die Meinungsbildung vertrauen und deswegen kann ich mir vorstellen, dass die Leute dadurch beeinflusst werden.
Was meinen Sie, hat die Digitalisierung die Politiktransparenter oder undurchsichtiger gemacht?
Es ist die Frage, ob nun mehr Leute zur digitalen Politik hinschauen. Es gibt viele Parlamente, die nun Livestreams von Debatten anbieten. Die Frage ist allerdings, wie viele Personen sich diese Livestreams anschauen, die vorher noch nicht politisch interessiert waren. Grundsätzlich gibt esTransparenz dadurch, dass alles aufgezeichnet oder gestreamt wird. Es wird möglich, mehr von Politikprozessen zu sehen, weil vorher viel hinter verschlossenen Türen geschah. Man kann hinschauen, wenn der Wille besteht. Da stellt sich aber die Frage, wie viele Leute sich verstärkt damit beschäftigen wollen. Es gibt immer mehr Personen, wie zum Beispiel Anna Rosenwasser, mit der ich mich wegen meiner Masterarbeit auseinandergesetzt habe, die anhand von politischen Tipps Transparenz schaffen. Wichtig ist, dass man weiss, wie man diese Informationen anwenden soll.
Was glauben Sie, wie wird die Demokratie durch die Digitalisierung in Zukunft aussehen?
Ich hoffe, dass wir weiterhin so eine stabile Demokratie haben wie bisher. Ich glaube, ganz wichtig ist es, dass wir eine Parteienvielfalt haben und Gespräche und Kontext suchen müssen, damit wir uns mit anderen Meinungen auseinandersetzen können. Ich hoffe, dass zukünftig durch die Digitalisierung noch viel vielfältigere Stimmen in diesem Diskurs teilnehmen können. Wir haben einen gewissen Frauenanteil erreicht, nun wäre auch spannend einen gewissen Anteil von jungen Stimmen im Parlament zu sehen.Vor was ich ein wenig Angst habe, ist, wenn wir durch Desinformationskampagnen eine immer grössere Polarisierung haben. Auch diese Cancel-Culture finde ich schwierig. Man kann entrüstet sein, aber sich explizit zu distanzieren und nichts mehr mit Meinungen von anderen zu tun haben, finde ich nicht gut. Dann schaffen wir es nicht mehr, in der Gesellschaft allen Leute Platz zu bieten.
Vielen Dank, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben und uns einen Einblick in Ihre Sichtweise gegeben haben.
Das Gespräch führten: Flurina Flüeler, Lena Sabatini und Sophie Gmür (2me)
Miriam Hetzel absolvierte 2010 die Matura an der Kantonsschule Frauenfeld und schloss 2018 ihren Bachelor in Kommunikation an der ZHAW ab. Im Juni wird sie ihr Masterstudium im Bereich Communication Management and Leadership abschliessen. Beruflich ist sie als Kommunikationsberaterin bei der Zürcher Agentur Communicators tätig, wo sie Kunden in den Bereichen Public Relations, Public Affairs sowie digitaler Medien berät. Zuvor arbeitete sie für einen nationalenIndustrie-Dachverband. Sie lebt in Winterthur.