Wie geht's?

Die Kanti Frauenfeld nimmt die Frage nach dem Wohlbefinden ernst: Wie geht es unseren Schülerinnen und Schülern wirklich? Was beschäftigt sie? Und welchen Beitrag können wir als Schule zur mentalen Gesundheit unserer Schülerinnen und Schüler leisten?

Die Hinweise sind häufig und die Signale deutlich: Die Zahl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit psychischen Belastungen ist hoch und steigt weiter an. Das Spektrum reicht von kurzen Stressphasen über familiäre Belastungen zu diagnostizierten psychischen Störungen. Zusammen mit den unzähligen Einflussfaktoren und deren Wechselwirkungen stehen wir als Schule zuerst einmal vor einer unüberschaubaren Komplexität.

Warum es sich lohnt, sich damit zu befassen

Nun gehört es zu den Kernaufgaben einer Bildungsinstitution, sich mit komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen zu befassen. Sich dem Thema zu verschliessen, ist damit prinzipiell keine Option. Weiter dürfen wir darauf bauen, dass eine gute mentale Gesundheit positive Bildungserlebnisse wesentlich begünstigt. Es ist uns ein Anliegen, dass sich unsere Schülerinnen und Schüler bei uns wohl fühlen, mit Lust und Freude lernen und eine positive Lebenszeit erleben dürfen.

Es stellt sich die Aufgabe, eine Balance mit den hohen Leistungserwartungen zu finden, die untrennbar mit dem Heranführen an die Ziele einer Mittelschule verbunden sind. Die eine Seite der Waage ist uns gut bekannt: Statistiken zeigen, dass wir unseren Schülerinnen und Schülern einen sehr guten Anschluss in der Tertiärstufe ermöglichen. Mit der Bearbeitung des Themas der mentalen Gesundheit wenden wir uns dem Potenzial der anderen Seite der Waage zu.

550 Antworten aus allen drei Abteilungen

Die erste Aufgabe der Arbeitsgruppe Qualitätsentwicklung (AQUA) bestand darin, die Komplexität so weit zu reduzieren, dass sie für uns bearbeitbar wurde. Die Gruppe, zusammengesetzt aus vier Lehrpersonen, zwei Schülerinnen und einem Schulleitungsmitglied, fokussierte in der Entwicklung des Fragebogens auf jene Bereiche, die weitgehend in unserem direkten Einflussbereich liegen. Mit rund 550 Antworten aus allen drei Abteilungen erhielten wir einen breit abgestützten Einblick in das aktuelle Wohlbefinden unserer Schülerinnen und Schüler. Die bisher diffuse Vorstellung von der mentalen Gesundheit «der Jugendlichen» erhielt mit der Einschätzung «unserer Schülerinnen und Schüler» klare Konturen und gleichzeitig eine persönliche Verbindlichkeit.

Für die Schülerschaft ein wichtiges Thema

Die Umfrage zeigte, dass das Thema für viele Schülerinnen und Schülern relevant ist. Mehr als 70 Prozent der Schülerschaft wählte bei der Frage, wie wichtig sie es finden, dass sich die Schule mit dem Thema mentale Gesundheit beschäftigt, mindestens vier von fünf Bewertungssternen. Auch die direkte Betroffenheit ist gross: Aus den Antworten lässt sich auf ein reduziertes Wohlbefinden bei einer beträchtlichen Anzahl Schülerinnen und Schülern schliessen. Die Kanti Frauenfeld ist somit keine ausserordentliche Insel der Glückseligkeit – trotz einer Schülerschaft mit überdurchschnittlich erfolgreichen Bildungsbiografien.

Schulisches Belohnungssystem schwingt mit

Wir stellten fest, dass der gefühlte Einfluss der Schule auf das individuelle Wohlbefinden gross ist. Auf einer Skala von 1 (die Schule hat keinen Einfluss auf mein Wohlbefinden) bis 10 (die Schule bestimmt mein Wohlbefinden) liegt der Schieberegler bei der Zahl 7. Häufig genannte Belastungsfaktoren sind Prüfungen, die aufwändigen Vorbereitungen darauf zu Hause und die mit Leistungserwartungen verbundenen Ängste. Zuoberst auf der Rangliste steht der Aspekt «Druck, den ich mir selbst mache» – ein auf den ersten Blick externer, nicht direkt von der Schule beeinflusster Faktor. Ein zweiter Blick darauf legt nahe, dass hier unser gelebtes schulisches Belohnungssystem mitschwingt und wir sehr wohl in die Verantwortung eingebunden sind.

Weitere Befunde, die uns zum Nachdenken anregten, liegen weiter weg von unserem direkten Einflussbereich, sind aber für das Lernen höchst bedeutsam: Es zeigte sich, dass sich rund 60 Prozent der Schülerinnen und Schüler beim Aufstehen nie oder nur ab und zu frisch und ausgeruht fühlen. Der Zusammenhang mit den Resultaten zu vermindertem Schlaf (35 Prozent der Schülerinnen und Schüler finden weniger als sechs Stunden Schlaf pro Nacht unter der Woche) und hohem Medienkonsum (35 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit vier oder mehr Stunden täglichen Medienkonsums) ist naheliegend.

Wie verfolgen wir das Thema weiter?

Wir konnten in der Schulleitung, in der AQUA, im Kollegium und mit einer Delegation der Schülerschaft konkrete Themen für die Weiterarbeit bestimmen: Als Reaktion auf die Situation rund ums «Ausgeruhtsein» prüfte die Schulleitung eine Anpassung der Stundenplanzeiten, was aber bei den Schülerinnen und Schülern auf Kritik stiess. Neue Richtlinien der Schulleitung fordern zudem dazu auf, Prüfungstermine früh und in Absprache mit der Klasse unter Berücksichtigung der Gesamtbelastung festzulegen. Und die Fachschaften identifizierten Möglichkeiten, wie die Prüfungsmenge reduziert bzw. Prüfungsformen variiert werden können.

Soweit die sichtbaren, wenn auch noch nicht abgeschlossenen «Massnahmenpakete». Womöglich geschieht das Wesentliche aber im Zwischenraum der Pakete: In der Auseinandersetzung mit der mentalen Gesundheit sowie in den Diskussionen im Kollegium und mit der Schülerschaft rückten Themen wie Wertschätzung, Zuhören, Ge- sprächsbereitschaft oder Achtsamkeit ins Bewusstsein. Und Bewusstsein ist eine hervorragende Grundlage, um im Schulalltag im direkten Kontakt mit den Schülerinnen und Schülern aktiv Gesundheitsförderung zu betreiben.

Text: Andreas Graf